Gemeinsam mit Nina Geiger und Dr. Michael Walter machten sich Schüler/innen der Politik-AG in den Herbstferien auf den Weg in unsere Nachbarländer. Die Schüler/innen berichten.
Es sind die Herbstferien 2025. Zwölf Schüler/innen und zwei Lehrer/innen verbringen die letzte Oktoberwoche auf einer Studienreise nach Polen und Tschechien. Die Schwerpunkte sollen auf historisch-politischer Bildung und den Beziehungen zu unseren Nachbarländern liegen. Ziele der Reise sind ein Blick in die Vergangenheit, die Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte und dann ein Perspektivwechsel in die Zukunft: Ein lebendiger Austausch mit Student/innen und Schüler/innen aus unseren Nachbarländern. Aus der Vergangenheit lernen und mit diesem Wissen dann die Zukunft formen, so könnte man das zusammenfassen. Zudem funktionierte die Reise auch nach den Prinzipien „Low-Budget“ und „Slow-Travel“, weshalb wir auf öffentliche Verkehrsmittel und preiswerte Verpflegung setzten und einmal sogar in einer Fabrik übernachteten.
Wir besuchten zunächst das polnische Wrocław, ehemals Breslau, wo wir mit der gebürtigen Breslauerin Renata die Altstadt erkundeten. Aus den geplanten drei Stunden wurden fünf – und dennoch herrschte keinen Moment Langeweile. Die Führung durch die politische und auch persönliche Geschichte der Stadt war geprägt von glücklichen Begegnungen, die man nicht besser hätte planen können. So trafen wir beispielsweise den 92jährigen Zeitzeugen und Bonhoeffer-Preisträger Janusz Witt sowie ein Mitglied der jüdischen Gemeinde auf dem Weg zur Synagoge.
Im Zuge der Stadtführung erfuhren wir auch viel über die Zustände in Breslau während des Zweiten Weltkrieges. So war die Stadt, damals Teil des „Dritten Reiches“, eine Hochburg der Nationalsozialisten. Zahllose Einwohner wurden gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben oder ermordet. Viele davon auch an einem Ort, den wir anschließend besuchten, das Vernichtungslager Auschwitz.
Zunächst gingen wir durch das Stammlager. Noch bevor die Führung begann, war es sehr irritierend, wie „normal“ und fast schon ausgelassen die Stimmung um uns herum wirkte. Auch im weiteren Verlauf des Besuchs wurde das Gefühl vermittelt, dass die Gedenkstätte für einen großen Teil der Besucher nur ein belangloser Programmpunkt ist.
Um ins Stammlager zu gelangen, gingen wir durch einen Gang mit hohen Betonmauern. Während man diesen sehr kalt gestalteten Weg entlangging, wurden Namen der Menschen vorgelesen, welche an diesem Ort ihr Leben lassen mussten. Das war der erste Gänsehautmoment. Im Lager angekommen, wurden wir zu dem Torbogen „Arbeit macht frei“ geführt. Es war sehr eindrucksvoll durch dieses Tor zu gehen, mit dem Wissen und den Bildern, wie die Menschen damals durch eben dieses Tor in den Tod getrieben wurden, ohne die leiseste Ahnung über ihr Schicksal zu haben. Neben den Baracken zeigten Bilder, wie es damals aussah oder was dort passierte.
In den in Reihen stehenden Backsteinhäusern dokumentierten Ausstellungen die furchtbaren Verbrechen. In einer der Baracken sah man Berge von Schuhen, Prothesen, Geschirr, Koffern und Haaren. Die Koffer waren alle mit Namen und Berufen der Eigentümer/innen gekennzeichnet, denn gegenüber den Opfern wurde behauptet, sie würden nur „umgesiedelt“ werden. Besonders schmerzhaft zu sehen war eine Ausstellung von Kinderschuhen und -kleidung. Diese Kinder hatten nie die Chance auf eine Entwicklung, geschweige denn auf ein langes Leben, so wurde uns dies auch von unserer Begleiterin beschrieben. Auch die Haare waren schockierend zu sehen. Man bekam eine Ahnung davon, wie viele Menschen dort ihr Leben lassen mussten. Zahlen wurde hier zu genaueren Vorstellungen. In der Anfangszeit von Auschwitz wurde den Frauen die Haare noch nicht abgeschnitten, nach Fluchtversuchen führte man dies jedoch ein und allen wurden die Haare abrasiert und eine Nummer in die Haut tätowiert.
Von jeder Person wurden Bilder als Identifikation gemacht, jedoch sahen die Menschen nach einer Zeit gewissermaßen gleich aus. Das wurde sehr deutlich, als wir durch einen Flur mit zahlreichen Bildern von Opfern gingen. Diese Bilder waren mit Jahreszahlen versehen. Geburtsdatum, Ankunft im Lager und Todesdatum. Erschreckend war hierbei die kurze Aufenthaltsdauer der Häftlinge. Hier gab es hinter all den Namen und Zahlen zum ersten Mal Gesichter. Die Grausamkeit und unmenschlichen Bedingungen wurden beim Gang durch die Häftlingszellen sehr deutlich. So wurden in Dunkelzellen etwa 40 Menschen in einen lichtlosen Raum gesperrt. Die meisten Opfer starben hier an Sauerstoff- und Platzmangel.
Mit dem Bus fuhren wir die vier Kilometer zum zweiten Ort unserer Besichtigung, dem Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau. Besonders bedrückend und eindrücklich wurden auf diesem Gelände die großen Dimensionen dieses Lagers. Hier war für uns besonders prägend, exakt denselben Weg zu gehen, der die Opfer vor noch nicht einmal 100 Jahren in den Tod führte. Dabei fühlte es sich fast schon falsch oder respektlos an, zu beispielsweise den Krematorien zu laufen oder sich auch nur zwischen den verschiedenen Orten frei hin und her zu bewegen. Man wird dabei in eine Position gesetzt, in welcher respektvolle Haltung erwartet werden sollte. Doch auch das sieht man nicht bei allen Besucher/innen. Für manche scheint es eben doch, als sei es ein Programmpunkt wie jeder andere, bei dem man auch mal noch mit dem Halloween-Make up vom Vorabend erscheinen kann.
Somit war die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau für uns alle ein emotionaler Schwerpunkt der Studienfahrt. Sowohl das enge Stammlager als auch das riesige Birkenau erzählen ihre eigenen Geschichten. Die Gedenkstätte zeugt von Leid, von den unaussprechlichen Verbrechen der Nationalsozialisten und auch von etwas, das nie vergessen werden darf: In jedem Menschen steckt Gutes und Böses, aber jeder Mensch muss selbst die Entscheidung treffen, welche Seite man füttert. Am Ende der Führung stand die Aussage, dass uns, als Nachfahren der Täter, zwar keine Schuld trifft, aber doch sehr wohl die Verantwortung, sich an diese schreckliche Vergangenheit zu erinnern und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht wiederholt.
Nach dem Besuch nahmen wir uns Zeit für den gemeinsamen Austausch und Raum für eine Verarbeitung des Erlebten, Gehörten und Gesehenen. Diese Reflexionsrunde stärkte sowohl das Verantwortungsbewusstsein als auch die Gruppendynamik und beendete in gewisser Hinsicht den ausführlichen Blick in die Vergangenheit.
In der zweiten Hälfte der Reisewoche widmeten wir uns beispielsweise mit dem Besuch einer Studentengemeinde in Praha dem Blick in die Zukunft. So nahmen wir an einem tschechischen Gottesdienst teil und konnten uns danach in geselliger Runde mit den Student/innen austauschen. Dabei kamen einige interessante Gespräche zustande, die für uns sehr bereichernd waren.
Ebenfalls mit dem Blick gen Zukunft besuchten wir an unserem letzten Tag ein Gymnasium in Plzeň. Dort konnten wir uns mit Schülerinnen und Schülern aus zwei verschiedenen Klassen (im deutschen Schulsystem erst eine 13., dann eine 12. Klasse) austauschen und größtenteils auf Deutsch miteinander ins Gespräch kommen. Zunächst stellten wir uns und das Angell vor, dann folgte eine Vorstellung seitens der tschechischen Schüler, woraufhin wir über vorbereitete Fragen diskutierten und später auch kulturelle Unterschiede in einem Spiel behandelten.
Weitere Höhepunkte der Reise waren Gespräche in den Räumlichkeiten der Hanns-Seidel-Stiftung in Praha. Dort erhielten wir zunächst durch Dr. Petr Křížek einen sehr tiefen Einblick in die Deutsch-Tschechische Geschichte. Unser Gesprächspartner schloss die Begegnung mit einem Aufruf an uns, nicht nach den Fehlern der anderen zu schauen, sondern nach unseren eigenen Vergehen und diese dann geradezubiegen. Diesen eindrucksvollen Worten folgte ein weiteres Gespräch voller Impulse. So sprachen wir direkt im Anschluss mit Dr. Markus Ehm, dem Leiter des Prager Büros der Hanns-Seidel-Stiftung. Er berichtete von seinem beruflichen Werdegang und seiner Arbeit und beantwortete zahlreiche Fragen. Auch er schloss unser Gespräch mit einem Appell: Man solle sich nicht aus falschem Perfektionismus vom Handeln abhalten lassen. Man solle einfach machen, anfangen, loslegen, seiner Berufung folgen.
Neben den vielen wertvollen Begegnungen durften wir an mehreren sehr vielseitigen Stadtführungen teilnehmen. So versuchte uns die gebürtige Pragerin Lenka, für die Folgen des oft respektlosen Tourismus für ihre Stadt zu sensibilisieren. Mit Martina lernten wir in Plzeň sogar etwas Tschechisch. Am Ende der Reise lag eine Woche voller Erlebnisse, Erfahrungen, Impulse und Gelerntem hinter uns, die unser Denken, aber auch den Blick auf unsere „östlichen“ Nachbarländer deutlich verändert haben.
Am Schluss möchten wir uns sehr herzlich bei Frau Geiger und Herrn Walter für die Hingabe und Mühe vor, während und nach der Fahrt bedanken. Außerdem gilt unser Dank all denen, die diese Reise mitorganisiert und möglich gemacht haben, selbst wenn wir sie nie oder nur kurz zu Gesicht bekamen. Abschließend möchten wir auch dem Angell und der Angell-Schulstiftung unsere tiefe Dankbarkeit für die Kooperation, Ermöglichung und Genehmigung aussprechen.
Solche Reisen vermitteln Wissen deutlich intensiver, praktischer und lebensnaher, als es Schulunterricht je könnte und sind so eine wunderbare Möglichkeit, um das eigene Denken, Lernen, Verständnis und auch die eigene Komfortzone zu erweitern.