Der Journalist Thomas Kuban war neun Jahre lang mit versteckter Kamera in der Neonazi-Szene unterwegs und hat sich dabei insbesondere mit der sogenannten Rechtsrock-Szene beschäftigt. Das Ergebnis, den Dokumentarfilm „Blut muss fließen“ schauten etwa 130 Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen von ANGELL Akademie und Montessori Zentrum ANGELL Ende Juni in der Aula im Beisein von Regisseur Peter Ohlendorf und Philippe Djahi vom interkulturellen Verein Fairburg e.V.
„Neonazis feiern Party und ich bin dabei.“ So beginnt die 90-minütige Dokumentation aus dem Jahr 2012, der für den Film auf Aufnahmen aus der jahrelangen Undercovertätigkeit von Thomas Kuban zurückgreifen konnte. Der profan klingende Einstieg verhehlt etwas die Tatsache, dass die Dreharbeiten mit der versteckten Kamera ein immenses Risiko für den Kameramann und Journalisten bedeuteten, der ein Pseudonym verwendet, um sich vor Angriffen aus der Neonazi-Szene zu schützen.
Auf öffentlichkeitswirksame Auftritte muss er daher verzichten, dabei hätte der Film mehr Publicity verdient, thematisiert er doch die weiterhin unterschätzte Gefahr, die von rechtsextremen Rockbands ausgeht. Deren Konzerte, zunehmend professionell organisiert, finden immer mehr Zuspruch, auch wenn sie in der Regel im Verborgenen stattfinden und der Konzertbesuch einer Schnitzeljagd gleicht, bei der zunächst mehrere Zwischenstationen und Checkpoints zu durchlaufen sind.
Die Konzerte und Tonträger der Rechtsrocker eignen sich ideal als niedrigschwelliges Angebot, um der Neonazi-Szene Zulauf zu verschaffen. Eine Strategie, die sich in England schon sehr früh als erfolgreich erwiesen hat, wo der 1993 verstorbene Sänger Ian Stuart Donaldson bis heute kultische Verehrung in Skinheadkreisen genießt.
Auch wenn viele Alben rechter Bands verboten sind: Durch die europaweite Vernetzung über das Internet, z.B. über das „Blood & Honour“-Netzwerk, ist deren Musik fast beliebig verfügbar. Hackerangriffe auf Onlinehändler und deren Kundendaten führen zwar zu kurzzeitigen Umsatzeinbußen, dämmen das Problem aber nicht ein und sind dazu noch illegal.Die Politik reagiert unterschiedlich auf das Problem. Den Vorwurf, die Justiz sei auf dem rechten Auge blind, möchte Regisseur Ohlendorf so pauschal nicht stehen lassen. Als vorbildlich zeigt er die Arbeit der Berliner Polizei, die bei „Propagandadelikten“ wie Volksverhetzung oder dem Singen verbotener Lieder auf Demos, konsequent einschreitet, wie auch im Film zu sehen ist.
Einen anderen Ansatz vertrat Günther Beckstein in seiner Zeit als bayerischer Innenminister. Mit der Behauptung konfrontiert, dass die bayerische Polizei den Konzerten mit eindeutigen Volksverhetzungen und Aufrufen zur Gewalt tatenlos zuschaue, entgegnete er, dass „es für die Polizei schwer zu entscheiden sei, welche Äußerungen durch die Freiheit der Kunst gedeckt seien“ und gestand seinen Beamten dabei einen großen Ermessensspielraum zu.
Auch im europäischen Ausland recherchierte Kuban und erlebte, dass die rechten Rocker zum Beispiel in Österreich und der Schweiz, wenn überhaupt, nur mit Glacé-Handschuhen angefasst werden. Geradezu paradiesische Zustände finden die Rechtsextremen in Ungarn vor. Mitten in der Gesellschaft dürfen sich die Neonazi-Bands dort fühlen, wo Skinheadkonzerte zum Beispiel auf dem UNESCO-Weltkulturerbe Heldenplatz mitten in Budapest stattfinden. Geschickt verbinden dortige Bands Rockmusik mit folkloristischen Elementen und vermarkten rechtsgerichtete Texte unter dem Label „Ethno-Rock“.
Auch in Italien blüht die Szene: Filmer Kuban musste bei seinen Recherchen seine Kamera erst gar nicht verstecken, denn die Konzerte finden dort öffentlich statt. Anschaulich wird der in der Ära Berlusconi verstärkte Rechtsruck zum Beispiel durch die Teilnahme des römischen Bürgermeisters Giovanni Alemanno bei einer Gedenkfeier zu Ehren des 1983 verstorbenen Neonazis Paolo di Nella.
Die Gelegenheit, nach dem Film mit Peter Ohlendorf zu diskutieren, nutzten die Schüler ausgiebig. Am Tag nach dem Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union ging es dabei auch um die Verbindungen zwischen der rechtsextremen Szene und den nationalistischen Strömungen und Parteien, die in immer mehr Ländern großen Zulauf haben und die weitere europäische Einigung gefährden.