Am Freitag, dem 14. März, fand im Stufensaal ein Autorengespräch mit Simon Sahner zu seinem Buch "Sprache des Kapitalismus" statt.
Das Buch, das Sahner mit seinem Co-Autor Daniel Stähr geschrieben hat, passt zum Abithema „Sprache in politisch-gesellschaftlichen Verwendungszusammenhängen“, und so waren alle vier Deutsch-Leistungskurse eingeladen, an diesem Gespräch teilzunehmen.
Die Moderation übernahmen abwechselnd verschiedene Schülerinnen aus den Deutsch-Kursen.
Hintergrund und Entstehung des Buches
Simon Sahner berichtete eingangs von seinem Werdegang und dem lang gehegten Berufswunsch, Literaturwissenschaftler und Autor zu werden – ein Plan, der bereits zu Abiturzeiten gereift war. Sein Co-Autor, Daniel Stähr, promoviert derzeit über „Narrative Economics“ und hatte die Idee zu einem gemeinsamen Buchprojekt. Beide kannten u.a. durch das Onlinemagazin „54 Books“ und entschieden sich, ihre Kompetenzen zu bündeln. Der Schreibprozess verlief laut Sahner sehr harmonisch, ohne inhaltliche Konflikte. Auch wenn das Buch nun schon ein Jahr alt ist, würde er einige Punkte heute zwar etwas anders formulieren und das Buch ergänzen, ist jedoch insgesamt zufrieden mit dem Ergebnis.
Kapitalismus: Definition, Kritik und Alternativen
Im Zentrum der Fragestunde stand das Thema Kapitalismus und dessen sprachliche Darstellung. Auf die Frage, wie er persönlich zum Kapitalismus stehe, erklärte Sahner, dass er durchaus Alternativen sehe, wenngleich der Weg dorthin unklar sei. Positiv sei, dass es vielen Menschen heute besser gehe als vor 150 Jahren. Allerdings führe das ständige Streben nach Wachstum zu immer größeren Ungleichheiten; er könne sich eher eine demokratische Reform des Systems als eine revolutionäre Umwälzung vorstellen. Während der Arbeit an dem Buch habe er sich in seinen Ansichten bestärkt gefühlt: Ursprünglich wenig an Wirtschaft interessiert, habe er sich eingehend damit befasst, um das System zu verstehen und womöglich verändern zu können.
Sprache als Instrument der Politik
Großen Raum nahm die Analyse sprachlicher Phänomene ein, die in Politik und Wirtschaft eine Rolle spielen. Sahner erläuterte, wie Parolen und Metaphern – etwa im Bundestagswahlkampf („Leistung muss sich wieder lohnen“, „illegale Migration“ oder der Umgang mit dem Begriff „Schulden“) – gezielt eingesetzt werden, um bei Wählerinnen und Wählern bestimmte Emotionen wie Angst oder Hoffnung hervorzurufen. Dabei kritisierte er, dass Sprache häufig verschleiere, welche menschlichen Entscheidungen tatsächlich dahinterstecken. Als Beispiel nannte er Formulierungen wie „Die Preise steigen“, die den Eindruck erwecken, es handle sich um ein naturgegebenes Phänomen, obwohl Preiserhöhungen letztlich von Menschen entschieden werden. Besonders problematisch seien Begriffe wie „Preistsunami“, da sie unkontrollierbare Naturgewalten suggerierten.
Versteckte Machtverhältnisse in der Wirtschaftssprache
Sahner ging außerdem auf Begriffe wie „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ ein, die historisch betrachtet ein Machtverhältnis widerspiegeln: Arbeitgeber „geben“ Arbeit, während Arbeitnehmer diese „nehmen“. In den Wirtschaftswissenschaften sei das allerdings genau umgekehrt: Unternehmer beziehen die Arbeitsleistung von Beschäftigten, sodass der Begriff die Abhängigkeit verschleiere. Diese Mechanismen, so Sahner, seien tief in unserem Sprachgebrauch verankert und oft unbewusst wirksam.
Kapitalismus und Glück
Von den Schülerinnen kam auch die Frage, wie man im Kapitalismus glücklich leben könne. Sahner betonte, dass man sich bewusstmachen müsse, welche Bedürfnisse tatsächlich aus einem selbst kommen und welche von außen suggeriert werden. Häufig würden Unternehmen bestimmte „Benefits“ hervorheben, um das Arbeiten attraktiver erscheinen zu lassen, letztlich gehe es jedoch stets darum, Geld zu verdienen. Zudem gebe es eine weitverbreitete Illusion, man könne jederzeit zum wohlhabenden „einen Prozent“ aufsteigen, was sich auf politische Einstellungen auswirke (beispielsweise bei der Debatte um eine Vermögenssteuer).
Sahner ist überzeugt, dass die sozialen Medien das Bild des Kapitalismus weiter prägen, etwa durch Influencer, die den jungen, erfolgreichen Businessman idealisieren und den Trend zur Selbstoptimierung vorantreiben. Ob der Kapitalismus die großen Probleme unserer Zeit – vor allem die Klimakrise – bewältigen könne, bezweifelt er. In seinem Buch und in weiteren Werken, etwa „Ende des Kapitalismus“ von Ulrike Herrmann, werde deutlich, dass grundlegende Veränderungen nötig seien. Für die Zukunft wünscht er sich einen bewussteren Sprachgebrauch: Metaphern und Schlagworte sollten nicht unreflektiert übernommen werden. Letztlich, so sein Appell, komme es darauf an, sich immer zu fragen, warum Dinge so gesagt werden, wie sie gesagt werden, und wessen Interessen dies dient. Bildung und die Fähigkeit zum kritischen Denken seien dafür der Schlüssel.
Abschließend betonte Sahner, dass er aus Gesprächen mit Leserinnen und Lesern vor allem positive Rückmeldungen zu „Sprache des Kapitalismus“ erhalte – häufig auch ergänzt um eigene Beispiele für manipulative Sprache, die vielen zuvor gar nicht aufgefallen seien. So zeigte die Fragestunde eindrucksvoll, dass Sprache in politisch-gesellschaftlichen Kontexten nicht nur Kommunikation, sondern auch Machtinstrument ist – und dass es sich stets lohnt, genauer hinzuhören.